„Oh, was ist denn hier passiert? Das ist ja eine Katastrophe!“
rief Klaus erschrocken als er am Morgen das Wohnzimmer betrat. Seine Frau kam sofort dazu und ließ einen Schreckensschrei los. Der Tannenbaum war über Nacht umgekippt. Dabei war es die erste Nordmann Tanne die sich die beiden gekauft hatten. Die Weihnachten zuvor stand immer eine Fichte im Wohnzimmer. Vielleicht war der Baum auch zu groß, auf jedenfall schien es zuviel zu sein für den alten Tannenbaumständer.
„Wie soll es jetzt weitergehen?“
fragte Sabine mit einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht.
Vierzehn Jahre waren die beiden schon verheiratet, 14 Jahre hatten sie allen Unwegbarkeiten getrotzt, alle Schwierigkeiten gemeistert. Egal ob es gleich zu Beginn ihrer Beziehung, im Mai 1981, oder nach ihrer Hochzeit war, oder später. Dabei hatten sie sich extra Freitag den 13. Mai ausgesucht, um zu zeigen das sie stark genug für jede Hürde sind.
Unglück und Pech sollten Fremdwörter für sie sein. Das war 1983. Und nun sollte ihre Serie reißen? Klaus dachte nach, wobei ihm wieder einmal eine der vielen Weisheiten seiner Oma einfiel.
„Es gibt immer einen Weg, eine Möglichkeit ans Ziel zu kommen, es muss nicht immer geradlinig sein, am Ende soll sie Dir gefallen. Nicht den anderen.“
Nach einer Weile hatte er die Lösung. Er fuhr mit seinen 2 Satteltaschen durch den Schneematsch in den 5 Kilometer entfernten Kleingarten den sie seit ein paar Jahren bewirtschafteten. Dort sammelte er Findlinge, die eigentlich für den Teichrand gedacht waren, ein und fuhr sie nach Hause. Die Tanne wurde in einen Haushaltseimer gesteckt, der wiederum mit all den Steinen gefüllt wurde. Selten stand ein Weihnachtsbaum so gut und fest wie der vom Weihnachtsfest 1997.
Sechs Jahre später.
Baustellen, überall Baustellen. Es spielte keine Rolle wohin Klaus sah, er hatte sich an jeder Ecke Schwierigkeiten aufgebaut. Zum größten Teil war er natürlich schuldlos an diesen Dilemma. Dieser Meinung konnte sich allerdings keiner anschließen. Es war der Zeitpunkt an dem wieder einmal neu orientieren sollte. Nur in welche Richtung?
„Höre auf Deinen Bauch, höre auf Dein Gefühl, verwerfe nicht den ersten Gedanken nur weil er dir nicht sofort gefällt oder Du ihn für unmöglich hältst. Höre auch auf Deine Frau, oder die Frauen die Dir nahe stehen“
„Schluss mit diesen Ratschlägen von Oma“
sagte er sich. Denn auf Frauen war er gerade nicht gut zu sprechen. Allein diese Tanja, seine neue Arbeitskollegin, die war unausstehlich wirkte überheblich und schien ein Eisblock zu sein. So ein Verhalten gefiel Klaus überhaupt nicht. Er brauchte das Gefühl von Nähe und Wärme. In der Politik hatte sich gerade eine „Schönheit“ aufgrund ihrer blonden Haare und ihres Minis, gegen ihn durchgesetzt. Und jetzt hatte ihn Sabine auch noch eine Szene gemacht. Zum zweiten mal schon in über 20 Jahren. Beim Fußball lief es auch nicht rund. Und dann fiel ihm doch noch einmal eine Weisheit seiner Großmutter ein, ausgerechnet diejenige die ihm am wenigsten gefiel.
„Wenn alles schief läuft im Leben und Dir nichts gelingt, wirst Du feststellen das Du einen Großteil der Schuld trägst. Deine Sichtweise ist dann bestimmt nicht immer richtig wenn so etwas geschieht. Nimm Dir Zeit überdenke alles und versuche Dein Verhalten zu verändern. Deine Wege, Deine Ziele führten dann in die falsche Richtung. Mach Dir nichts daraus. Jeden ereilt das mal so. Die Kunst besteht darin Einsicht zu zeigen“
An diesen letzten Weisheiten von ihr brauchte Klaus lange um sie zu verarbeiten. Nach einer gewissen Zeit sah seine Welt ganz anders aus. Der Tiefpunkt schien überwunden, Licht schien die Schatten zu verdrängen.
Beim Fußball lief es mit einen mal viel harmonischer, seiner Bekanntschaft aus der Stammkneipe nahm er ihre Empfehlungen nicht mehr übel und mit seiner Frau lief es auch viel besser, denn er konnte Sabine sogar mit ihren Sorgen und Bedenken verstehen. Sie hatte wohl doch Recht gehabt so verärgert zu reagieren, weswegen er sogar schrittweise den Rückzug aus der Politik einleitete.
Nur mit der Arbeitskollegin tat er sich schwer. Am Ende musste er sich aber eingestehen das sie genau das Gegenteil von dem war was er anfangs geglaubt hatte. Ja, sogar noch viel mehr. Sie war eine der wenigen die ihn nie als Beeinträchtigten Menschen gesehen hat. Er beschloss nie wieder gegen jemanden Vorurteile zu haben.
Dezember 2012
Sabine und Klaus wollten etwas Neues ausprobieren. Weihnachten ohne Tannenbaum. Über 4 Wochen waren sie von der Idee begeistert. Doch dann am 22.Dezember, 2 Tage vor Weihnachten wusste Klaus wohin er wollte. Die Zeit der Irrungen und Wirrungen war vorbei.
Sollten andere doch ruhig über seinen Gesundheitszustand zT. beängstigende Spekulationen anstellen.
Gesundheit und ein langes Leben mit Sabine sollten für ihn das Ziel sein. Neu war für ihn jetzt der Weg. Er wusste mit einmal wie er, ja wie sie beide dieses Ziel erreichen könnten.
Als erstes kauften Sabine und Klaus einen Tannenbaum. Obwohl es der kleinste war den sie sich ins Wohnzimmer gestellt hatten. Es war der schönste Baum den sie jemals hatten.